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aLibro - Fachbuchhandlung für Anarchie & Anarchismus
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Gelebte Revolution - Anarchismus in der Kibbuzbewegung

Gelebte Revolution - Anarchismus in der Kibbuzbewegung
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ISBN: 978-3-939045-46-5
GTIN/EAN: 9783939045465
Verlage: Graswurzelrevolution
Mehr Titel von: Graswurzelrevolution
24,80 EUR
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Gelebte Revolution
Anarchismus in der Kibbuzbewegung

Von der James Horrox.

Nettersheim: Verlag Graswurzelrevolution, 2022. Kartoniert, 259 Seiten. ISBN 978-3939045465.

Beschreibung:

Die Studie von James Horrox umfasst 140 Jahre Geschichte der Kibbuzbewegung. Von der zweiten bis zur vierten jüdischen Einwanderungswelle in Palästina 1904 bis 1932 waren die Kibbuzim anarchistisch geprägt und stark von Kropotkins kommunistischem Anarchismus, Landauers Siedlungssozialismus und Bubers binationalem Föderalismus beeinflusst.

Erst als die zionistisch-etatistische Strömung von Ben-Gurion und Menachem Begin in der Kibbuzbewegung ab den End-Dreißigerjahren die Oberhand gewann, wurde der Anarchismus in den Kibbuzim zurückgedrängt. Ganz erstarb er jedoch nie. Es kam nach reaktionären Phasen zu Formen der Renaissance, etwa ab den Neunzigerjahren in den urbanen Kibbuzim, als man sich der solidarischen Prinzipien der anarchistischen Frühphase wieder erinnerte.

Es gab Verbindungen zur jüngeren anarchistischen Bewegung in Israel, zu den neuen Kriegsdienstverweigerer*innen, zu äthiopisch-jüdischen Nachbarschaftsprojekten und sogar gemeinsame arabisch-jüdische Kibbuzim. Das Buch bringt verdrängte Geschichte zum Vorschein und deutet Perspektiven jenseits der latenten und manifesten Kriege der Gegenwart an.

Einleitung

Kapitel I
Die Anfänge der Kibbuzbewegung
Grundlagen der Kooperativ-Siedlungen

Kapitel II
Diggers und Traumtänzer
Die Weltanschauung der zweiten Alija

Kapitel III
Die Revolution verwirklichen!
Innenansichten der Pionier-Gruppen aus der dritten Alija

Kapitel IV
Der Kibbuz
Die Dynamiken einer freien Kommune

Kapitel V
Eine neue Kibbuzbewegung?
Der Kibbuz im 21. Jahrhundert

Kapitel VI
Die Kibbuzbewegung und der israelische Anarchismus
Zeitgenössische Perspektiven

Kapitel VII
Schlusswort
(März 2008)

Nachwort
Zehn Jahre nach dem Erscheinen des Originals
(November 2017)

Anhang I
Die jüdischen Immigrationswellen nach Palästina

Anhang II
Briefwechsel Nahum Goldman – Gustav Landauer
(März 1919)

Anhang III
Vorwort von Uri Gordon (2008) zur US-amerikanischen Ausgabe

Anmerkungen

Literatur

Register

Aus der Einleitung

Von allen „utopischen“ Sozialexperimenten in der jüngeren Geschichte ist die Kibbuzbewegung Israels zugleich ein Archetypus und eine einzigartige Ausnahme. Aus einer reizlosen Ansammlung von Lehmhütten am Ufer des Flusses Jordan nahm die nahe liegende Idee einer kommunitären Gesellschaft ohne Ausbeutung und Herrschaft in Palästina schnell Gestalt an und erblühte zu einem landesweiten Netzwerk egalitärer Gemeinschaften. Durch gute (und unglücklicherweise auch schlechte) Zeiten hindurch konnten diese Kommunen nicht nur ihre Existenz aufrechterhalten, sondern dauerten in unterschiedlichen Formen über fast ein Jahrhundert hinweg fort.

Im Unterschied zu anderen „utopischen“ Projekten, von denen die meisten nur eine historisch kurze Zeitspanne bestanden oder von der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft mit Argwohn und Misstrauen betrachtet, bisweilen gar verfemt wurden, spielten die Kibbuzim eine zentrale und entscheidende Rolle beim Gründungsprozess einer Nation und der Neuorientierung einer gesamten Bevölkerungsgruppe. Seit den frühesten Tagen ihrer Existenz erfüllten die Kibbuzim eine Vielzahl von Anforderungen, derer die jüdische Renaissance bedurfte: Sie trugen dazu bei, Israels Infrastruktur aufzubauen und bildeten die Grundlagen einer Nationalökonomie; sie übernahmen die Verantwortlichkeit für die massenhafte Aufnahme vieler Tausender von Immigrant*innen; sie schufen eine landesweite Gewerkschaft, der mehr als drei Viertel der gesamten Arbeiterschaft des Landes angehörte; und sie leisteten einen landwirtschaftlichen und industriellen Beitrag für das Land, der noch immer den Anteil der Bevölkerung, der in ihnen lebt, bei Weitem übersteigt.

In keinem anderen Staat haben Kommunen solch eine zentrale Rolle im nationalen Leben gespielt. Doch trotz einer Vielzahl an wissenschaftlichen Studien über die bekannteste aller Kommunebewegungen haben nur wenige von ihnen eine passende Kategorisierung für deren einzigartige Organisationsform gefunden. Meist einigte man sich auf ambivalente Allerwelts-Begriffe wie „Kommunismus“ oder „Sozialismus im Kleinen“. Das System jedoch, das den Kibbuz-Gemeinden über solch lange Zeit hinweg Dienste erwies, ist in Wirklichkeit ebenso weit entfernt vom staatsorientierten Sozialismus wie vom Markt-Kapitalismus. Während nur wenige Beobachter*innen aus dem vorherrschenden Medienbetrieb zugestanden haben, dass die Kibbuzim sogar „ein anarchistisches Element“ enthalten, müsste in viel stärkerem Maße darauf hingewiesen werden, dass die Kibbuzim die ideologischen Abkömmlinge der anarchistischen Tradition sind und nicht der staatssozialistischen Tradition. Der Untersuchung dieser Aufgabe widmet sich dieses Buch. (. . .)
In seinem Nachwort zur englischsprachigen Ausgabe von 1974 von Kropotkins Buch Landwirtschaft, Industrie und Handwerk erwähnt der britische Anarchist Colin Ward den Kibbuz als eines der wenigen Beispiele in der Geschichte, in denen Kropotkins Sozialtheorie einen wirkungsvollen praktischen Ausdruck gefunden habe. Dieser Feststellung folgt jedoch ein Vorbehalt: „Wenn wir die jüdischen Gemeinschaftssiedlungen als praktische Umsetzung von Kropotkins idealer Kommune bezeichnen“, so schreibt er weiter, „dann müssen wir sie ohne Bezug zur Funktion betrachten, die sie in den letzten Jahrzehnten im Dienste des israelischen Nationalismus und Imperialismus eingenommen haben.“

Einige werden sich deshalb gegen die Anführung der Kibbuzim als beispielhaft verwahren. Die Verbindungen der Kibbuzbewegung nach 1948 zum Staat Israel – einem Land, dessen Name innerhalb der gegenwärtigen globalen Linken zu einem Synonym für Apartheid und zeitgenössischen Kolonialismus geworden ist – inklusive jener Kibbuz-Mitglieder, welche in die israelischen Sicherheitskräfte oder die israelischen Streitkräfte [IDF; Israel Defense Force; d.Ü.] oder auch in höhere Polizeiränge eingetreten sind, sind sicherlich auch dafür verantwortlich, warum die Kibbuzim im Allgemeinen von der anarchistischen Bewegung nicht als Partner in ihren Kämpfen wahrgenommen werden. Viele meinen, die schlichte Existenz der Kibbuzim basiere auf der zwangsweisen Vertreibung und Unterdrückung der ansässigen arabischen Bevölkerung der Region, und sie würden jedes progressive Ideal von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit, das die Kibbuzim für sich beanspruchen, als wertlos betrachten angesichts der massiven Ungleichheit, auf welcher die praktische Umsetzung dieser Ideale im Laufe der Zeit basierte.

Per definitionem kann keine Kommune, die offiziell mit irgendeinem Staatswesen liiert ist, als ein anarchistisches Projekt betrachtet werden. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass wir nicht von den politischen Grundsätzen, die innerhalb dieses Kommunelebens verwirklicht wurden, lernen und uns mit ihnen identifizieren könnten. Ein Artikel in der Londoner anarchistischen Zeitung Freedom gab im Jahre 1962 zu bedenken: „[Der Kibbuz] ist eines der besten Beispiele der Demokratie und gewiss eines der bestehenden Projekte, das dem praktizierten Anarchismus am nächsten kommt. Jede lieb gewonnene Theorie des Anarchismus, seien es die Dezentralisierung, der Minderheitenschutz, das ‚Gesetz‘ ohne Regierung, Freiheit anstatt offizieller Genehmigung, die Delegierung der Repräsentation, sind dort täglich praktizierter Bestandteil des Lebens. Im Mikrokosmos kann beobachtet werden, wie eine wahrhaft freie Gesellschaft aussehen wird.