Tagebücher, Band 1. 1910-1911
Von Erich Mühsam
Hrsg. von Chris Hirte und Conrad Piers
Berlin: Verbrecher Verlag, 2011. Leinenband mit Lesebändchen, 352 Seiten. ISBN : 978-3940426772.
Beschreibung
15 Jahre lang, von 1910 bis 1924, hat Erich Mühsam, der berühmteste deutsche Anarchist sein Leben festgehalten – ausführlich, stilistisch pointiert, schonungslos auch sich selbst gegenüber – und niemals langweilig.
Was diese Tagebücher so fesselnd macht, ist der wache Blick des Weltveränderers. Mühsam wollte Anarchie praktisch ausprobieren. Anarchie hieß für ihn: Leben ohne moralische Scheuklappen, ohne Rücksicht auf Konventionen – und er bewies, dass es geht. Auch das Schreiben ist Aktion, in allen Sätzen schwingt die Erwartung des Umbruchs mit, den er tatsächlich mit herbeiführt: Die Münchner Räterevolution ist auch die seine, und die Rache der bayerischen Justiz trifft ihn hart.
Mühsams Tagebuch ist ein Jahrhundertwerk, das es noch zu entdecken gilt, es erscheint in 15 Bänden – und zugleich als Online-Edition. Die gewissenhaft edierten Textbände werden im Netz unter www.muehsam-tagebuecher.de begleitet von einem Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namenregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien, Suchfunktionen – so entsteht eine historisch kritische Ausgabe!
Erich Mühsam: Tagebücher - Editionsplan:
Band 1 - 1910–1911 // erschienen 2011
Band 2 - 1911–1912 // erschienen März 2012
Band 3 - 1912–1914 // erschienen Dezember 2012
Band 4 - 1915 // erschienen Mai 2013
Band 5 - 1915–1916 // erschienen November 2013
Band 6 - 1919 // erschienen Mai 2014
Band 7 - 1919–1921 // erschienen November 2014
Band 8 - 1921 // erschienen Juni 2015
Band 9 - 1921 // erschienen März 2016
Band 10 - 1922 // erschienen September 2016
Band 11 - 1922 // erschienen Mai 2017
Band 12 - 1922–1923 // erschienen November 2017
Band 13 - 1923 // erschienen Juni 2018
Band 14 - 1923–1924 // erschienen Januar 2019
Band 15 - 1924 // erschienen Mai 2019
Pressestimmen:
Mühsam macht in seinem Tagebuch deutlich, dass er sich nicht nur theoretisch und politisch für den Anarchismus engagierte, sondern auch ganz praktisch versuchte, die Anarchie in seinem persönlichen Leben zu realisieren. Gelebte Anarchie hieß für Mühsam ein Leben nach dem Lustprinzip, ganz ohne Rücksicht auf bürgerliche Moral und Konventionen. Das in seinem Tagebuch beschriebene anarchische Leben der Münchner Boheme ist eine spannende und auch ausgesprochen amüsante Lektüre. (...) Die Edition der Mühsam-Tagebücher kann mit Fug und Recht als ein publizistisches Jahrhundertereignis bezeichnet werden. Das gilt zuallererst für die Veröffentlichung der Mühsam-Tagebücher selbst. Aber auch die Art der Publikation – nämlich als kombinierte Buch- und Onlineausgabe – kann für vergleichbare editoriale Großprojekte wegweisend sein. [... mehr]
Jochen Schmück, DadAWeb/Lexikon der Anarchie
Mitreißende Tagebücher, die sich mit den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts messen können und bisher weitgehend unbekannt waren. Es bietet das richtige Mischungsverhältnis von privaten und öffentlichen Mitteilungen, ist Chronik des kulturellen und politischen Geschehens und ein Stück Sittengeschichte. Und der Klatsch aus der Münchner Kulturszene kommt auch nicht zu kurz. Wie schillernd diese Aufzeichnungen tatsächlich sind, erweist sich nun bei der Edition des ersten Bandes.
Volker Hage, Spiegel
Es dauert keine zehn Minuten - und der Leser ist dem Sog dieses Lebens, der Stärke und Eigenart dieses Charakters erlegen. Man hat ein Hauptwerk Mühsams vor sich, einen kleinen München-Roman und ein Dokument unbefangener, undogmatischer Freiheitsliebe. Der Text lässt sich auch im Internet nachlesen, dort kann man mit der Handschrift vergleichen, sich über Personen und Ereignisse informieren. Wo möglich, verweist der Kommentar auf Wikipedia. Das ist intelligent und leserfreundlich gemacht und jederzeit zu ergänzen.
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung
Wer ein Sitten- und Kulturbild jener Epoche aus dem besonderen Blickwinkel des politischen Außenseiters vermutet, liegt richtig. Wer anarchischen Sprengstoff erwartet, erst recht. Und das liest sich wunderbar sarkastisch und ironisch. So gelingt diesem Freigeist auf Entzug jeder Eintrag aufs Feinste. Wer seine „Unpolitischen Erinnerungen“ kennt, weiß, dass Mühsam fast das gesamte Personal der Kunstbewegung kannte, die sich als Expressionismus etablieren sollte. Tag für Tag kann man so verfolgen, wie Mühsams Netzwerk wächst. Und man ist durch zahlreiche Anekdoten bereichert, die einem diese aufregende Zeit näher bringen als sogar Mühsams „Erinnerungen“ selbst.
Volker Hummel, Frankfurter Rundschau
Und so sind diese Tagebücher vor allem eine außergewöhnliche Sittengeschichte, die die Weite des damaligen anarchistischen Denkens deutlich machen. Sie sind ein kulturgeschichtlicher Schatz und das literarische Vermächtnis des 1934 von den Nazis Ermordeten. Band 1 erzählt von der subkulturellen Radikalität der früheren Boheme, die sich auch im Praktizieren anderer Lebensformen unmittelbar versuchte.
Andreas Fanizadeh, taz
Ein großes Vorhaben und der erste wirklich überzeugende Versuch, Buch und Internet plausibel und produktiv zu kombinieren.
Frank Dietschreit, rbb Kulturradio
Ein wunderbares Unternehmen. Eine Geisterbahn durch das erste Viertel des Zwanzigsten Jahrhunderts - und eine Fundgrube satirisch-literarischer Kostbarkeiten aus dem Grenzbereich von Bohème und Politik.
Jürgen Werth, WDR 5
Und jetzt muss eine verlegerische Großtat bejubelt werden: die Edition der Tagebücher des Anarchisten, Dichters und Räterevolutionäres Erich Mühsam, die der Verbrecher Verlag zugleich als Printfassung und online auf den Weg bringt. Mühsams Werk, das zeigt bereits der erste Band aus den Jahren 1910/11, stellt ein Zeitdokument ersten Ranges dar – das ironisch geschilderte Leben der Münchner Boheme zwischen Finanznöten, Erotik und Politik.
Elke Brüns, Tagesspiegel
Leseprobe:
Château d’Oex. la Soldanelle, 22. August 1910. Montag.
Bei strömendem Regen war ich eben unten im Dorf, um mir dies Heft zu kaufen. Es soll mein Tagebuch sein. Ich glaube kaum, dass ich es in der Art führen werde wie damals im Gefängnis. Dazu gibt’s hier bei aller Beschäftigungslosigkeit und bei aller Langeweile zu viel zu tun; dazu habe ich auch hier bei aller Zeitbindung und bei aller Willensbeschränkung noch immer zu viel Freiheit. Ich werde schwerlich jeden Tag zu Eintragungen kommen – und jedenfalls kaum je zu ausführlichen. So werde ich mich also einrichten müssen.
[... mehr]