"A las barricadas"
Erinnerungen eines Antifaschisten
Von Helmut Kirschey. Aufgeschrieben von Richard Jändel. Herausgegeben, eingeleitet und bearbeitet von Andreas G. Graf und Dieter Nelles.
Bocholt und Breedevoort: Achterland Verlagscompagnie. 2000 (Verfolgung und Widerstand in Wuppert; Band 3). Broschur, 230 Seiten. ISBN 978-3933377524. Zur Zeit vergriffen.
Beschreibung:
Der 1913 in Elberfeld geborene Helmut Kirschey schildert in "A las Barricadas - Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten" seine Kindheit und Jugend in Wuppertal, die Haft im KZ Dinslaken 1933 sowie die Jahre des Exils in den Niederlanden, in Spanien, Frankreich und Schweden.
Für Kirschey endete das Exil nicht 1945, sondern erst 1955, als er schwedischer Staatsbürger wurde und endlich wie ein "normaler Mensch" leben konnte. So illustrieren seine Lebenserinnerungen auch die politischen Auseinandersetzungen in der Zeit des Kalten Krieges. Sie zeichnen ein eindrückliches Bild des Exils der "kleinen Leute", das bis heute einen der großen weißen Flecken auf der Landkarte der Exilforschung bildet. Die Erinnerungen und Einsichten sind außerdem ein seltener Beitrag zur Geschichte des Spanischen Bürgerkrieges, an dem Kirschey als Freiwilliger auf Seiten der Anarchisten teilnahm.
Nur wenige Spanienfreiwillige haben die zweifache Niederlage - als Antifaschist und als Anarchist gegen Kommunisten - niedergeschrieben. Doch sind Kirscheys Erinnerungen keine Verlierergeschichte, sie zeigen Überlebensstrategien und Widerstandsformen, Emigrationsodysseen und Verzweiflung, aber auch erlebte Solidarität.
- Einleitung von Andreas G. Graf und Dieter Nelles [6]
- Vorwort zur schwedischen Ausgabe [15]
- Eine Jugend in Deutschland [17]
- Flüchtling in Holland [71]
- Spanischer Herbst [95]
- Der Weg ach Hause [151]
- Abkürzungen [227]
- Literatur [228]
- Personenregister [230]
A las Barricadas - Das Leben des Anarchosyndikalisten Helmut Kirschey
Selten ist eine Autobiographie so bewegend wie "Helmut Kirschey: A las Barricadas. Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten". 1913 in Elberfeld geboren, aufgewachsen in proletarischen Verhältnissen in Wuppertal, engagierte sich Helmut Kirschey früh in kommunistischen Zusammenhängen, löste sich aber 1931 unter dem Eindruck der "Hexenprozesse" in der Sowjetunion vom kommunistischen Jugendverband und trat der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) bei. (...)
Die antifaschistischen Aktivitäten der Wuppertaler AnarchistInnen, an denen sich Kirschey beteiligte, hatten Folgen. 1933, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, wurde Kirschey verhaftet. Nach acht Monaten Haft im KZ Dinslaken floh er in die Niederlande und engagierte sich dort als Aktivist der Deutschen Anarchosyndikalisten (DAS). Als Exil-Organisation produzierte die DAS Zeitschriften wie Die Internationale, die getarnt als Deutschtum im Ausland ins Reichsgebiet geschmuggelt und dort konspirativ von anarchistischen Untergrundgruppen verbreitet wurden.
Als sich im Sommer 1936 eine anarchosyndikalistische Massenbewegung erfolgreich gegen den Franco-Faschismus wehrte und eine soziale Revolution erlebte, entschlossen sich Kirschey und andere Mitglieder der DAS die libertäre CNT-FAI in Spanien zu unterstützen. Nach einer gefährlichen Reise gelang es Kirschey "aus der tiefsten Illegalität in Holland nach Port Bou zu kommen, wo es nur so wimmelte von Symbolen der CNT-FAI: Auf Armbinden, Mützen, Halstüchern und Fahrzeugen. Wir waren so überglücklich, dass wir weinen mussten." (S. 96) In Barcelona produzierte die DAS z.B. die deutschsprachige Zeitung Soziale Revolution (die heute als gut erhaltenes Original in der Geschichtswerkstatt Dortmund zu finden ist und auf einen Reprint wartet), sowie Radiosendungen, die über Kurzwelle nach Deutschland ausgestrahlt wurden. (...)
Anfang 1937 ging Kirschey als Milizionär der Kolonne Durruti an die Front. Im Mai 1937 wurde er Zeuge der Straßenkämpfe zwischen CNT-FAI und Kommunisten. Kurz darauf wurde er gemeinsam mit anderen deutschen Anarchosyndikalisten von sowjetischen Geheimagenten verhaftet und sieben Monate lang in ein Gefängnis bei Valencia gesperrt und verhört. Im April 1938 wurde er freigelassen. Mittlerweile hatten die von Moskau unterstützten Stalinisten die libertäre Revolution erstickt, die CNT-FAI hatte ihre herausragende Rolle verloren. Der Sieg des Faschismus rückte näher und zudem wurden antiautoritäre SozialistInnen von Stalins Schergen bedroht. Kirschey floh deshalb über Paris nach Amsterdam und schließlich nach Schweden. Dort wurde er für einige Jahre Mitglied der syndikalistischen Sveriges Arbetares Centralorganisation (SAC). Trotz der Gefahr als "unerwünschter Ausländer" ins nationalsozialistische Deutschland abgeschoben zu werden, schmuggelte er mit schwedischen Eisenbahnern Flugblätter in die Züge, in denen Soldaten der Wehrmacht durchs "neutrale" Schweden transportiert wurden. 1943 erhielt er seine erste Arbeitserlaubnis und 1955 wurde er schwedischer Staatsbürger.
Heute, als 88-Jähriger, reist Helmut Kirschey durch die Bundesrepublik, hält Vorträge in Libertären Zentren, Universitäten und Schulen. "Wenn ich erzähle, versuche ich, der Zeit zwischen 1914 und 1945 ein Gesicht zu geben, und die Reaktionen darauf sind immer sehr positiv. Viele Male habe ich Sätze gehört wie: 'Die Lehrer haben davon erzählt, und wir haben nicht alles verstanden, aber wenn sie darüber sprechen, ist es etwas ganz anderes.' Das freut mich zu hören, dabei habe ich nur das erste Jahr der Hitlerzeit mitgemacht, das Allermeiste blieb mir erspart." (S. 214)
Bernd Drücke / graswurzelrevolution, Nr. 262 (Okt. 2001)